Eine Vision für die Palästinenser
Der palästinensische Unternehmer Baschar Masri steht auf einem Hügel mit Blick auf die Baustelle von Rawabi. Es ist die erste geplante palästinensische Stadt in den Westbanks mit mehr als 5000 modernen Wohneinheiten. Masri will damit junge Leute aus der Mittelschicht anlocken und ein Stück weit eine neue Gesellschaft prägen
SWP - ULRIKE SCHLEICHER - Unweit von Ramallah entsteht eine Stadt in der einmal 40 000 Menschen wohnen sollen. Das Großprojekt ist einzigartig in der Westbank. Auch, da es stellvertretend für eine neue palästinensische Gesellschaft sein soll.
Neulich war Baschar Masri auf der Bauma in München, von dort aus ist er weiter in die USA geflogen. Wer den palästinensischen Unternehmer antreffen will, tut sich schwer. Der 52-Jährige aus Nablus im Westjordanland reist in der Welt herum, um weitere Investoren für sein ehrgeiziges Projekt zu finden: die Stadt Rawabi, die in der Nähe von Ramallah auf einem Hügel entsteht. Seit zwei Jahren werden hier Tonnen von Erde umgesetzt, Zement produziert und sogar Steine per Hand bearbeitet, um 5000 Wohnungen zu bauen. Nicht nur das: Rawabi wird Schulen haben, ein Krankenhaus, ein Einkaufszentrum, Büros, ein Theater, Kinos, eine Moschee, eine Kirche und einen eigenen Gemeinderat mit Bürgermeister und eine Kläranlage. Das alles soll bis zu 3000 Jobs generieren.
Die Stadt ist eine Idee von Masri und sein Augapfel. So geht es nicht nur darum, die akute Wohnungsnot in der Westbank zu bekämpfen, sondern "hier entsteht das Herzstück eines künftigen, palästinensischen Staates". Trotz dieses eindeutigen Bekenntnisses scheut er nicht den Kontakt zu denen, die seinen Traum nicht unbedingt teilen: den israelischen Besatzern. Er kennt viele Unternehmer und viele verdienen an dem Projekt mit. Nur Produkte aus israelischen Siedlungen in der Westbank werden nicht verbaut, das hat Masri vertraglich festgelegt und sich deshalb Ärger von rechten Parteien in der Knesset eingehandelt.
So müssen sich der 52-Jährige und andere Geldgeber wie das Emirat Katar nicht nur mit den wirtschaftlichen Risiken des Großprojektes auseinandersetzen, sondern auch mit den irrwitzigen, politischen Begebenheiten der Region. Denn Rawabi liegt zwar in palästinensisch verwaltetem Gebiet, aber eine 2,8 Kilometer lange Straße gleich daneben nicht. Sie führt durch das C-Gebiet, das von Israel kontrolliert wird. Um diese Straße hat Masri fünf Jahre lang gekämpft. Sie ist für die Infrastruktur auf der Baustelle notwendig. "Andernfalls hätten die Lastwagen durch das Dorf Atara fahren müssen", erklärt Rania Maree, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. Das wäre aufgrund der Enge dort jedoch unmöglich gewesen.
Rania ist 28 Jahre alt, hat Marketing studiert und kommt aus Ramallah. Ohne Schleier, modern gekleidet, könnte sie aus dem Werbefilm über Rawabi entsprungen sein, der Kaufinteressenten in dem schicken Bürogebäude auf dem Baugelände gezeigt wird. Er zeigt eine Stadt, die wenig mit den real existierenden in der Westbank zu tun hat: Viel Grünflächen, saubere Wege, keine Wassertanks auf den Dächern, kein Beton. Zielgruppe für die bis zum Teil über 200 Quadratmeter großen Wohnungen sind junge Leute aus dem Mittelstand - "die Facebookgeneration", nennt Masri sie.
Er, der selbst in den USA studierte und mit einer Amerikanerin verheiratet ist, hat nicht nur die Vision einer neuen Stadt, sondern auch einer neuen, palästinensischen Gesellschaft. Dazu gehören auch Frauen, die gut ausgebildet sind und arbeiten. In seinem Team sind daher viele wie Rania, die auch Verantwortung tragen.
Die meisten haben in der nahe gelegenen Birzeit-Universität studiert. So wie etwa die Chef-Ingenieurin Shadia Jaradat. Sie war neben der Planung der Gebäude dafür verantwortlich, eine neue Software einzuführen, die es möglich macht, am Bildschirm 3-D-Modelle der geplanten Häuser zu erstellen und bis zur letzten Schraube alle dafür benötigten Materialien zu berechnen. Die 25-Jährige nimmt sich gerade eine Auszeit, aber es gibt genügend andere junge Frauen, die sie anwenden können. Hanan Khalaf zum Beispiel, die gerade das zweite Praktikum in Rawabi neben ihrem Studium absolviert. "Es ist toll, dass wir hier umsetzen können, was wir an der Uni lernen", sagt sie. Diese Technologie würde bei keinem anderen Projekt in der Westbank angewendet. Sie hofft, nach dem Studium hier einen festen Job zu finden.
So wie Shifa Saleh, die gleich nach ihrem Abschluss übernommen wurde und die Baustelle nun von der Pike auf kennenlernt. Probleme mit den Männern habe es nur anfangs gegeben. Die üblichen Verhaltensmuster - zum einen kannten ältere Ingenieure die Software nicht und hatten Vorbehalte. Zum anderen wollten sie sich von jungen Frauen nichts sagen lassen. "Aber wir haben den vollen Rückhalt von Herrn Masri", sagt die 23-Jährige, die demnächst heiratet und auch selbst nach Rawabi ziehen will. "Hier zu wohnen, ist Ausdruck eines neuen Stils."
Die ersten zwei Bezirke, das Einkaufscenter und die ersten Schulen sind Ende des Jahres fertig. Dann ziehen die ersten Bewohner der neuen Stadt ein. Sie haben die Wohnungen - zwar zu günstigen Konditionen gekauft, beispielsweise kosten 124 Quadratmeter mit einer voll ausgestatteten Küche 74 000 Dollar - trotzdem hängt ihre Zukunft und die des Westjordanlandes von der wirtschaftlichen Lage ab. Und um die ist es nach einem kleinen Boom der vergangenen Jahre nicht gut bestellt, ausgenommen die Baubranche. Umsätze bei Handel und Gewerbe sind unter anderem wegen der Restriktionen der Besatzungsmacht Israel eingebrochen. Aber auch die missratene Finanzpolitik der palästinensischen Führung sowie Korruption hinterlassen ihre Spuren.
Das alles taugt nicht dazu, optimistisch zu sein. Projektleiter Amir Dajani versucht es stellvertretend für Baschar Masri trotzdem: "Egal, wie es hier weitergeht, mit Israel und auch wirtschaftlich, wir werden unsere Vision verwirklichen."
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